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7 years ago

Inspiration 01/2017 dt

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Gipfeltreffen 20 Prozent

Gipfeltreffen 20 Prozent der Kletterer gehen nur in die Kletterhalle. Das sind Pisten. Auch wenn ich im 11. oder 12. Grad klettere, folge ich sichtbaren Griffen, ich muss sie nicht suchen. Das Unbekannte, das Geheimnisvolle, ist weg. Hallenklettern ist ein grossartiger Sport, hat aber mit traditionellem Bergsteigen nichts zu tun. Und die meisten Leute, die heute auf Berge steigen, steigen auf den Everest, Mont Blanc, Aconcagua, Kilimandscharo. Und zwar nicht nur wegen der «Seven Summits», sondern weil Pisten dort sind. Ohne Pisten würden die meisten die Gipfel gar nicht finden. Wenn der höchste Berg der Welt über die Nord- und Südseite mit einer Piste versehen wird, frage ich: Wo findet traditioneller Alpinismus noch statt? Derzeit etwa im indischen Himalaya, wo unbekannte, schwierige Fünf- und Sechstausender erstbestiegen werden ... Ja, aber warum geht denn niemand dorthin, oder an die Ostseite des Mount Everest? «Ohne Pisten würden die meisten Bergsteiger die Gipfel gar nicht finden.» Wo ordnen Sie einen Kilian Jornet ein, der den Everest mit einem Mini-Team ausserhalb der Saison in Rekordzeit versucht? Nach Versuchen wird er es früher oder später auf der Piste machen. Ich ordne es unter Zahlenalpinismus ein. Darunter fallen auch die 14 Achttausender. Alle Siebentausender zu besteigen, wäre um ein Vielfaches schwieriger. Es hat noch nie jemand angefangen, dabei wäre es theoretisch durchaus möglich, sie alle innert eines Lebens zu schaffen. In ihrem Buch «Überleben» haben sie eingestanden, dass sie es nicht für möglich gehalten hätten, dass der Tourismus samt künstlichem Sauerstoff und Bohrhaken den Alpinismus einmal verdrängt. Haben Sie wirklich erwartet, dass nach ihrer Everest-Besteigung ohne Atemmaske die Menschen nur noch in diesem Stil unterwegs sein würden? Nein, das habe ich nicht erwartet. Und ich sage nicht, wie andere, dass künstlicher Sauerstoff Doping ist. Der Sauerstoffverzicht kommt bei mir aus einer ganz anderen Ecke: Nach drei Achttausendern hatte ich grosse Lust, mich von den Expeditionsleitern unabhängig zu machen. Zu zweit oder allein geht der Everest nur, wenn ich auf die Sauerstoffflaschen verzichten kann. Sonst muss ich Helfer haben, die mir den Sauerstoff nachtragen bis auf 8500 Meter. Ich brauche sonst einen Haufen Leute und einen Haufen Geld, das hätte ich gar nicht aufbringen können in meiner wirtschaftlichen Position. Südtirol ist viel zu klein, um aus der Industrie das Geld dafür zu bekommen. So – ohne grossen Apparat jeweils – habe ich auch gelernt, völlig andere Sachen zu finanzieren. Etwa mein Museum, was ja eine ganz andere Dimension ist, verglichen mit meinen Expeditionen. Stichwort Finanzierung: Sie meiden ja bekanntlich das Internet, haben aber sicher Einblick bekommen, wie sich Profibergsteiger heute vermarkten. Auf Facebook muss die Follower-Zahl stimmen ... Interessant, wieder Zahlenalpinismus. Oder etwa nicht? Heute wird nicht die Qualität gezählt, sondern die Zahl der Follower. Aber es ist das gleiche Spiel, das es früher mit Auflagen von Büchern gab: Es geht um Reichweite. Wie wären Sie mit Facebook umgegangen? Ich kann es nicht sagen, weil es das zu meiner Zeit nicht gegeben hat. Ich will dazu nichts sagen, nicht schön malen. Aber ich tue es ja mit Absicht nicht, und werde es weiterhin nicht nutzen. Ich glaube, dass es wirtschaftlich unklug ist, weil nicht nachhaltig. Warum? Wer ist denn der zur Zeit erfolgreichste Buchautor in Sachen Berg? Nicht diejenigen, die eine Million Follower haben, sondern – tut mir leid – ich. Ich habe null Follower. Es ist besser, wenn ich meine Sachen nicht kinkerlitzchenweise aus dem Basisla-

Kritische Distanz: Von einer Vermarktung auf Facebook hält der Autor und Regisseur nichts. Aus wirtschaftlichen Gründen: «Sonst ist die Exposition weg». ger in die Welt rausposaune. Sonst ist die Exposition weg. Und die Exposition ist das wichtigste Merkmal für traditionellen Alpinismus. Es braucht nicht nur Schwierigkeiten und Gefahr, sondern es braucht das Flair vom «Ende der Welt». Das heisst, während einer Expedition sollte nichts nach aussen dringen. Die erfolgreichste Abenteuergeschichte aller Zeiten ist die von Scott. Scott ist 1910 in die Antarktis gefahren, und 1913, im Herbst, hat die Witwe die Nachricht gekriegt, dass der tote Mann gefunden worden ist. Aus seinen Tagebüchern wurde ein Buch gemacht und bei allen Lesern, auch Nicht-Lesern, ist das Gefühl entstanden: Die Tragödie ist am äussersten Rand der Erde passiert. Es ist ganz gut, dass ich mein Abenteuer sitzen habe lassen. Oder: Wenn ich abends auf einer Bühne vor dem Publikum stehe, hätten die genauso gut zum Abendessen, ins Kino, ins Theater oder zum Shoppen gehen können. Nur wenn ich gegen all diese anderen Möglichkeiten bestehe, bin ich als Erzähler erfolgreich. Die Kunst des Storytellings, nicht die Kunst des Bergsteigens, zählt bei der Auswertung. Auf der Bühne führe ich ja nicht vor, wie ich klettere. Es gibt viele Leute die meinen, es reicht, eine Profikarriere zu machen, mit einem Finger Klimmzüge zu machen. Es reicht eben nicht. Weil sie nicht erzählen können? Das Bergsteigen ist nach wie vor kein Profisport. Fussballer bekommen Millionen von Euro, weil sie gut Fussball spielen. Die bekommen ein Gehalt. Kein Bergsteiger bekommt das, nach wie vor, und ich finde das gut. Bergsteigen ist nicht geeignet als vorgeführte Aktivität. Weil es dort stattfindet, wo Nachrichten nicht zeitgleich überbringbar sind. Und deswegen bin ich der Meinung, es ist schlauer – rein wirtschaftlich – Infos nicht auf Facebook zu verkleckern. Sondern: zurückhalten, in Ruhe ein Buch schreiben und verkaufen. In Ihren Büchern stösst man naturgemäss sehr häufig auf die Begriffe Gefahr und Risiko. Was man dagegen fast gar nicht findet, ist das Wort «Spass». Grosses Bergsteigen ist kein Spass. Es ist Lug und Trug, dass das Spass sei. Auch das extreme Klettern ist kein Spass. Ich habe die beiden Amerikaner getroffen, die als Erste die Dawn Wall geklettert sind. Ihre Finger waren nur noch Matsche. Grossartig, aber sie konnten nicht sagen, dass es Spass war. Das extreme Höhenbergsteigen, hat Dr. Oelz, ein Freund von mir, als «das Spiel der Leiden» bezeichnet. Das ist der richtige Ausdruck. Es hat eine spielerische Dimension, in erster Linie hat es mit Leiden zu tun. Es ist saukalt da oben, die kalte Luft fährt in die Lunge, meistens hat man noch dazu Kopfweh – nicht fest, oder man ist höhenkrank – und alles geht unendlich langsam. Natürlich sind auch Ängste und Zweifel dabei. Das leuchtet ein. Aber sind Sie nie in Ihrem Leben zum Spass auf den Berg gegangen? Ich gehe jetzt genauso auf den Berg wie früher, nur nicht mehr so schwierig, so steil und so hoch wie früher. Ich tue es, weil ich einfach gern gehe, so macht es Freude. Aber ich muss mich überwinden, aus dem Haus zu gehen, weil ich viele andere Interessen habe, die mir ebenso wichtig sind. Es ist auch kein Spass, ein Buch zu schreiben, aber es ist für mich eine Notwendigkeit. Weil ich mich damit, wie mit dem Bergsteigen, ausdrücke. Wir Menschen haben den grossen Wunsch, uns auszudrücken. Das treibt mich mehr an als der reine Spass. Gipfeltreffen 21

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